Hohes Alter: Fluch oder Segen?
100 Jahre alt werden – ein vor wenigen Jahrzehnten noch als utopisch angesehenes Ziel wird immer realistischer. Menschen suchen ständig nach neuen Möglichkeiten länger zu leben um das prognostizierte biologische Potential von 140 Jahren auszureizen. Ein längeres Leben hat allerdings Nebenwirkungen die häufig außer Acht gelassen werden. Das Risiko für das Ausbrechen verschiedener Krankheiten steigt beispielweise mit fortschreitendem Alter. Wir werden also immer älter – Leben aber auch länger mit Krankheiten. Aber was kann man machen um diese Krankheiten möglichst erfolgreich zu verhindern und so auch ein gesundes hohes Alter zu erreichen?
2013 haben Statistiken des Rostocker Demographie Forscher Roland Rau für Aufsehen gesorgt. Er prognostizierte jedem in diesem Jahr geborenen Kind eine Lebenserwartung von mindestens 100 Jahren. Statistiken des Max-Planck-Instituts stützen diese These. Ihren Berechnungen zufolge steigen die Lebenserwartungen seit langer Zeit mit jedem Jahrzehnt um ungefähr 2,5 Jahre. Anders gerechnet gewinnen wir mit jedem Tag 6 Stunden hinzu. Doch womit lassen sich diese Zahlen begründen?
Die wesentlichen Gründe hierfür sind klar auf die stetigen Entwicklungen der Medizin zurück zu führen. Durch einen enorm hohen Hygienestandard wird das Verbreiten von Krankheiten geringgehalten und die Medizin entwickelt zeitgleich immer neue Methoden zur Bekämpfung dieser Erkrankungen. Gegen manche Erkrankungen ist allerdings auch die Medizin machtlos:
Man spricht in diesem Bereich vor allem von den „Zivilisationskrankheiten“. Dabei handelt es sich beispielsweise um Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs, die mit jährlich 572.100 Todesopfern die Haupt-Todesursache in Deutschland darstellen. Beides sind Erkrankungen, deren Wahrscheinlichkeit mit zunehmendem Alter steigt. Je älter wir also werden, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit betroffen zu sein. Zugleich ist die Medizin aktuell lediglich in der Lage die Symptome zu bekämpfen, an eine vollkommene Heilung ist noch nicht zu denken. Dass die Krebs-Fälle in Deutschland seit Jahren zunehmen, lässt sich vor allem dadurch erklären, dass die Menschen immer älter werden und die Wahrscheinlichkeit betroffen zu sein mit zunehmendem Altem steigt.
Anscheinend stellen diese Erkrankungen den Hauptgrund dafür dar, dass wir nicht gleichzeitig älter und gesünder werden können. Was könnte also der Schlüssel dafür sein?
Die Antwort ist gleichermaßen einfach und komplex: ein gesunder Lebensstil.
2016 veröffentlichten A. Khera et al eine Studie im ´New England Journal of Medicine` und verglichen dabei in einem Zeitraum von 10 Jahren den Einfluss des Lebensstils mit dem der genetischen Voraussetzungen in Bezug auf das Risiko bestimmte Krankheiten zu entwickeln. Als vier Haupt-Determinanten des gesunden Lebensstils wurde das Rauchen, Übergewicht (BMI > 30), regelmäßige körperliche Aktivität (min 150min/Woche) und eine gesunde Ernährung herangezogen. Die Ergebnisse der Gene zum Lebensstil wiesen ein Relevanzverhältnis von 30%:70% auf. Der Lebensstil hat dementsprechend einen wesentlich größeren Einfluss auf Krankheiten als genetische Dispositionen. Das Risiko für Kardiovaskuläre Erkrankungen beispielsweise, kann mit einem gesunden Lebensstil um 50% reduziert werden – wie Abbildung 1 zeigt.
Eine weitere Studie von Hakim, A. et al stellte die Verbindung zwischen körperlicher Aktivität und die Mortalität von Herz-Kreislauf-Erkrankungen gesondert heraus. Dabei fand er einen signifikanten positiven Zusammenhang zwischen der täglichen Walkingdistanz und der Sterblichkeit. Ungefähr drei Kilometer tägliche Walkingaktivität reduziert das Mortalitätsrisiko dabei um fast die Hälfte! Die Lebenserwartung steigert sich also Immens.
Diese Ergebnisse können definitiv als Grobschliff für den Schlüssel zu einem gesunden hohen Alter dienen. Doch welche weiteren Faktoren limitieren die Gesundheit im fortschreitenden Alter und welche Faktoren im Alterungsprozess führen noch zu erhöhter Sterblichkeit?
Hierbei seien all die Krankheiten zu nennen, die gezwungener Weise Bewegungsmangel zur Folge haben. Häufiges Beispiel dafür ist Osteoporose, eine Erkrankung, die sich mit fortschreitendem Alter verschlechtert und sehr häufig vorkommt. Sie kann bei fortschreitendem Schweregrad zu Einschränkungen im Bewegungsapparat führen und hat somit Bewegungsmangel zur Folge. Bewegungsmangel wiederum korreliert – wie soeben beschrieben – stark positiv mit Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, Diabetes, Krebs sowie anderen perspektivisch sehr gefährlichen Krankheitsbildern. Das macht Osteoporose auf lange Sicht so gefährlich. Der Extremfall als Folge der altersbedingten Osteoporose – der Oberschenkelhalsbruch – tritt gleichzeitig verhältnismäßig häufig auf. Die Folgen dabei sind verheerend. Die zwingend notwendige Bettlägerigkeit wirkt sich derart schlecht auf den Körper aus, dass Studien eine Sterblichkeit von 20-25% in den ersten 6 Monaten nach dem Vorfall prognostizieren. Entsprechend gilt es hierbei, eine adäquate Vorsorge zu treffen.
Diese Vorsorge kann nur durch eine sehr bewusste und im Optimalfall frühzeitige aktive Intervention erreicht werden. Das bedeutet eine regelmäßige körperliche Aktivität die speziell auf das Vorbeugen dieser alterslimitierenden Erkrankungen abzielt. Sei es ein intensives Intervalltraining zum Ankurbeln der Gefäßteilung für das verhindern koronarer Herzerkrankungen, Ausdauertraining für das Aufbauen einer guten Grundlagenausdauer oder Sprungeinheiten die einen hohen Impact auf den Knochen haben und so als Mittel zum Zweck gelten, Osteoporose vorzubeugen: Das Wichtigste ist es, sich bewusst mit dem Sport auseinanderzusetzen. Dieser Bewusste Lebensstil – wenn er denn von der Gesellschaft angenommen wird – kann einen enormen Einfluss auf die Entwicklung der Altersspannen haben. Wie genau sich dieser Trend entwickeln könnte hat die WHO 2015 im sogenannten Kompressionsmodell festgehalten.
Das Modell stellt 3 Szenarien des Alterns dar. Speziell geht es um ein krankheitsarmes Altern mit verschiedenen Strategien. Im aktuellen „Status Quo“ setzt der Alterungsprozess vergleichsweise früh ein und die Krankheiten nehmen mit zunehmendem Alter zu – bis sie im Tod enden. Das Extensionsmodell geht von einem unverändert frühen Einsetzen des Alterungsprozess aus. Dieser wird hierbei allerdings durch fortschreitende Medizinische Möglichkeiten herausgezögert, was sich in einer längeren Lebenserwartung wiederspiegelt. Die dritte Möglichkeit, gleichzeitig der Optimalfall, stellt das Kompressionsmodell dar: Durch eine gute und breite Präventionsarbeit wird hierbei das Einsetzen des körperlichen Abbaus herausgezögert. Der Abfall ist dann zwar steiler, endet aber ebenfalls in einer längeren Lebenserwartung. Dieses Modell würde ein längeres gesundes, beschwerdearmes Leben ermöglichen.
Mit dem aktuellen medizinischen Ansatz wird es also kaum möglich sein, zeitnah am biologischen Potential von 140 Jahren zu kratzen. Dafür wird bislang zu wenig Wert auf weitsichtige Betrachtung der Gesundheit gelegt. Die Devise wäre also ein langsameres Altern durch ein bewussteres und gesünderes Leben. Voraussetzung dafür ist aber erst einmal das Umkrempeln des Gesundheitssystems von kurativ auf präventiv als optimales Mittel zum Zweck des gesunden Alterns.
Literaturverzeichnis
Deutsches Ärzteblatt. (2013). Demografie:. Jedes zweite heute geborene Kind wird 100 Jahre alt. Rostock unter https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/53112/Demografie-Jedes-zweite-heute-geborene-Kind-wird-100-Jahre-alt#comments
Deutsches Statistisches Bundesamt. (2015): Gesundheit. Todesursachen in Deutschland (Statistik) unter https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Todesursachen/_inhalt.html
Khera, A. V., Emdin, C. A., Drake, I., Natarajan, P., Bick, A. G., Cook, N. R. et al. (2016). Genetic Risk, Adherence to a Healthy Lifestyle, and Coronary Disease. The New England Journal of Medicine, 375 (24), 2349-2358. doi: 10.1056/NEJMoa1605086.
Walter, S., Beltrán-Sánchez, H., Regidor, E., Gómez-Martín, C., del-Barrio, J.L., Gil-de-Miguel, Á.,Subramanian, S.V., & Gil-Prieto, R. (2016). No evidence of morbidity compression in Spain: a time series study based on national hospitalization records. International Journal of Public Health, 61, 729-738.